Akupunktur (nach TCM)
Chinesische Medizin als technisch-regulatives System
Die innere Logik der Chinesischen Medizin (CM) zu entdecken und nach einem schlüssigen Behandlungsplan zu therapieren ist erfolgreich. Erste Zahlen der Universität Heidelberg zeigen es: Akupunktur nach definierter chinesischer Diagnose schlägt symptombezogene Akupunktur um Längen.
Aber wie definiert man die Diagnose?
Das Heidelberger Modell der CM hilft hier weiter. Es versteht die Chinesische Diagnose als einen vegetativen Funktionszustand, den man mit nahezu mathematischer Schlüssigkeit erheben kann. Grundlage dieses Modells ist die Vorstellung, dass Yin, Yang und Wandlungsphasen (engl. elements) nicht nur philosophische Begriffe darstellen, sondern als technische Begriffe der Regulationslehre (Kybernetik) interpretiert werden.
Wissenschaft oder exotischer Exportartikel?
Die Pluralität der Chinesischen Medizin und ihrer Methoden können zu dem Missverständnis Anlass geben, diese hätte kein nachvollziehbares theoretisches System zur Grundlage. Auf der Basis der bahnbrechenden sinologisch-medizinischen Pionierarbeit Prof. Manfred Porkerts wurde in Heidelberg ein Modell zum Verständnis der Chinesischen Medizin entwickelt, das die Schlüssigkeit der klinischen Kategorien der chinesischen Klassiker bewahrt und zugleich einen technisch plausiblen Zugang zur Behandlung erlaubt. Es betont den Wert der inneren Logik der Chinesischen Medizin und stellt sie erstmals umfassend als ein geschlossenes, physiologisches Heilsystem dar.
Auf die Diagnose kommt es an
Jede Diagnose ist eine Therapieanweisung. Der Prozess der Diagnosefindung ist daher, wie in jeder Heilkunde, das zentrale Problem der Chinesischen Medizin.
Die Begriffe der CM werden nach dem Heidelberger Modell als Termini technici der Regulation verstanden. Sie sind geeignet, den aktuellen, regulativ bedingten Zustand eines Menschen zu beschreiben und so ein funktionelles Zustandsbild als individuelle Diagnose zu erheben.
Hier ergänzt die CM die westliche Medizin auf ideale Weise, da die vegetativen Funktionen und deren Anteil am Krankheitsgeschehen präzise beschrieben und eingeschätzt werden können.
Leitkriterien sind regulative Physiologiemodelle
Das biologische Netzwerk Mensch ist multifaktoriell und daher nicht linear zu beschreiben. In der CM haben sich vier Hauptbeschreibungsmodelle entwickelt, um die komplexen Zusammenhänge der Körperregulation zu ordnen. Die grundlegenden Gedanken dieser Systematik sind ca. 2.000 Jahre alt, wurden aber erst vor ca. 300 Jahren als so genannte Leitkriterien zusammengefasst.
Im Kern beschreiben diese Leitkriterien die Regulation des Menschen auf vier verschiedenen physiologischen Ebenen, die zusammen ein Regulationsmodell eines komplexen Netzwerks darstellen.
Diese vier Ebenen der Steuerung - die neurovegetative, die humorovegetative, die neuroimmunologische und die zelluläre Ebene – sind sowohl nach westlichem wie nach chinesischem Verständnis auf das Engste miteinander verknüpft. Die CM hat nun eine klinische Zeichenlehre entwickelt, mit der man den regulativen Zustand jeder dieser Steuerungsebenen an Hand der klinischen Symptomatik ermitteln kann.
Was ist dran an Yin und Yang?
Die technisch-regulative Dimension von Yin, Yang und den Wandlungsphasen lässt sich an einem Analogiebeispiel der Regulation der Temperatur in einem Wasserbecken erklären: Auf Grund der systemimmanenten Schwankungen bewegt sich der Istwert um den Sollwert annähernd auf einer Sinuskurve.
In einem solchen sinusartigen Verlauf befinden sich nahezu alle einfach regulierten biologischen Systeme. Aus diesem Grund eignet sich eine solche regulative Betrachtung zur Wertung vieler biologischer Phänomene. Die CM hat eine eigene Sprache entwickelt, solche Sollwertschwankungen eindeutig zu bezeichnen.
Im Kern geht es darum: Yang-Zustände sind über dem Sollwert, Yin-Zustände sind unter dem Sollwert. Die Wandlungsphasen (WP) bezeichnen die Abschnitte (Quadranten) dieser Sinuskurve.
Wendet man diese regulative Theorie auf die vegetative Gesamtaktivität an, so zeigt sich, westlich betrachtet, eine große Zahl von Übereinstimmungen mit der klassischen Zeichenlehre der Chinesischen Medizin.
Die klinischen Zeichen, die dann eine Wandlungsphase kennzeichnen, entsprechen sehr genau einem funktionellen Zustand einer Körperregion. Sie manifestieren sich als Symptome entlang den Leitbahnen (Meridianen). Diese Symptome sind demnach die klinische Manifestation einer regulativ bedingten vegetativen Funktionstendenz, die man Wandlungsphase nennt.
Kann soviel Mathematik eigentlich alt-chinesisch sein? Natürlich. Die Kreisfunktionslogik durchzieht bereits das "I Ging", die bedeutendste klassische Schrift Chinas. Die versteckten mathematischen Zusammenhänge erschienen dem deutschen Gelehrten Leibnitz bereits im 17. Jahrhundert derartig augenfällig, dass dieser aus dem "I Ging" die binäre Logik entwickelte, die heute Grundlage der Computerlogik ist, z. B. auch in Form der Barcodes der Supermärkte.
Als Anschauung mathematischer Bezüge in der chinesischen Kultur wollen wir uns die „Sinuskurve“ der Regulation, von Yin, Yang und den Wandlungsphasen deshalb noch genauer anschauen.
Man kann auch beide Formen der Kreisfunktion in einer Abbildung zusammenziehen:
Zeichnen wir einen Kreis um das Gesamtbild, in dem die Sinuskurve bereits enthalten ist, so entsteht das Fou-qi Zeichen. Dieses Zeichen kommt aus der Song-Dynastie, etwa aus dem 9. bis 10. Jahrhundert.
Wir interpretieren das Fou-qi Zeichen daher als ein Emblem, das grundlegende mathematische Bedeutung für die Beschreibung von Kreisbewegungen und Regulationen hat.
Es symbolisiert, dass Yang und Yin Begriffe der Regulation sind und durch die Wandlungsphasen näher differenziert werden können. Die Anwendung der regulativen Kurve beschränkt sich nicht auf die Theorie von Yin und Yang, die hier nur verkürzt wiedergegeben werden kann.
Vielmehr lassen sich alle vier Physiologiemodelle der CM in Sinuskurven fassen und in einfache Wirkbeziehungen setzen.
Weiterführende Anwendungen der Theorie erklären die "Geschmacksrichtungen" (sapores) als vegetative Wirkrichtungen, den Begriff des Yin-Mangels und die Sechs-Stadien-Lehre des shang han lun.
Weiterführende Anwendungen der Theorie erklären den Begriff des Yin-Mangels und die Sechs-Stadien-Lehre des "shang han lun".
Das wichtigste aber zum Schluss: Die Therapie, auf diesen klassischen Grundsätzen beruhend, ist nachweislich erfolgreicher als symptombezogene Akupunktur.
Fachliteratur: Greten, Kursbuch der Traditionellen Chinesischen Medizin - Thieme Verlag.