Angewandte Kinesiologie
Diagnose per Muskeltest
Ein deutscher Landarzt berät sich via Computer mit dem Kollegen aus Frankreich und der amerikanische Spezialist operiert online:
In der Medizin unserer Tage werden modernste Maschinen und neueste Techniken zur Diagnose und Behandlung eingesetzt. Doch bei allem Fortschritt sollten auch jene Verfahren nicht unbeachtet bleiben, die mit einfachen Mitteln durchzuführen sind. Zu ihnen zählt die Applied Kinesiology (AK), die Angewandte Kinesiologie.
Vor mehr als 30 Jahren entdeckte der amerikanische Chiropraktiker George H. Goodheart durch Zufall die Grundlagen der AK: Bei der Untersuchung eines Patienten stellte er fest, daß sich die Stärke eines Muskels sofort verändert, wenn therapeutisch relevante Punkte am Körper behandelt oder auch nur berührt werden. Nach vielen weiteren Versuchen entwickelte Goodheart einen standardisierten Muskeltest, mit dessen Hilfe sich die Reaktion des Körpers auf Reize, Substanzen und auch Emotionen jeglicher Art messen läßt. Da sich die Angewandte Kinesiologie aus der Chiropraktik entwickelt hat, eignet sie sich besonders zur Diagnose bei Beschwerden, die im weitesten Sinne mit dem Bewegungsapparat zusammenhängen. Doch auch Allergien, Unverträglichkeiten, toxische Belastungen, Organschäden sowie psychische Störungen können auf diese Weise festgestellt werden.
Obwohl der Untersucher seinen Patienten beim Muskeltest berührt, hat diese Methode mit "Handauflegen" oder sonstigem Hokuspokus nicht das geringste gemein. Die Anwender sehen die AK denn auch nicht im Gegensatz zu eingeführten und bewährten schulmedizinischen Diagnoseverfahren wie EKG, EEG oder Labortests, sondern als dringend notwendige Ergänzung. Denn die Angewandte Kinesiologie setzt eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen voraus. Und schon ihr Begründer entdeckte im Laufe der Jahre, daß den meisten Muskeln bestimmte Organe und Meridiane (Akupunktur-Leitbahnen) sowie Nahrungszusatzstoffe, Vitamine und Mineralstoffe zugeordnet werden können. So steht etwa der Bizeps mit dem Magen in Verbindung und der Sartorius, ein Muskel auf der Vorderseite des Oberschenkels, mit der Nebenniere.
Ungleichgewicht macht krank
Für die Betrachtung jedes gesundheitlichen Problems empfiehlt Goodheart die Sichtweise des "Dreiecks der Gesundheit", denn jede Störung im Körper entstehe durch ein strukturelles, chemisches und/oder mentales Ungleichgewicht.
Der Chiropraktiker hat ursprünglich fünf Systeme beschrieben, die mit diesen Störungen korrespondieren:
- das Nervensystem
- das lymphatische System
- das vaskuläre System, als das die Blut- und anderen Gefäße betreffende System
- das cranio-sakrale System, als die Verbindung zwischen Schädel und Kreuzbein
- das Meridiansystem, als die Akupunktur-Leitbahnen
Aus heutiger Sicht kommt noch das "System der Grundregulation" hinzu, das Bindegewebsstrukturen und Zellen, Gewebsflüssigkeit sowie bestimmte Zellen des Lymphsystems umfasst. Emotional-geistige Zusammenhänge werden auch zunehmend berücksichtigt.
Die Angewandte Kinesiologie arbeitet mit standardisierten Tests für einzelne Muskeln des Körpers. Gemessen wird jedoch nicht die absolute Kraft, sondern die Stärkeänderung des jeweiligen Muskels. Zu diesem Zweck drückt der Patient beispielsweise mit dem Ellenbogen so stark wie möglich gegen den Widerstand des Untersuchers. Hat er seine Maximalkraft erreicht, wird der Druck fast unmerklich um zwei bis vier Prozent erhöht. Kann der Patient dem kleinen Extradruck widerstehen, nennt man den Muskel stark; hält er nicht stand, bezeichnet man dies als schwach. Wird der Test korrekt und gefühlvoll durchgeführt – der Patient darf sich keinesfalls "übertölpelt" fühlen – ergeben sich drei mögliche Testergebnisse.
- Hyporeaktiver Muskel: Der Patient kann den Muskel nicht stark genug anspannen, der Muskel ist demnach schwach
- Normoreaktiver Muskel: Der Muskel kann dem ansteigenden Testdruck des Untersuchers ausreichend Widerstand leisten, reagiert aber auf schwächende Einflüsse mit einem vorübergehenden Leistungsabfall.
- Hyperreaktiver Muskel: Der Muskel des Patienten ist stark und reagiert nicht auf normalerweise schwächende Einflüsse, damit gilt er als zu stark.
Die AK-Untersuchung setzt ein Grundwissen um das Stresskonzept nach Selye voraus, welches besagt: "Stress ist die Summe aller Adaptationsvorgänge und Reaktionen körperlicher wie psychischer Art, mit denen ein Lebewesen auf seine Umwelt und die von innen und außen kommenden Anforderungen reagiert. "Dies bedeutet, daß es kein Leben ohne Stress, und umgekehrt, ohne Stress kein Leben gibt. Wird ein Organismus nun einem Stress ausgesetzt, kommt es zu einer Alarmreaktion: Die Leistung fällt kurzfristig ab, um dann als Reaktion wieder steil anzusteigen.
Besteht der Stress für längere Zeit oder wird er häufig wiederholt, setzt das Stadium der Resistenz ein. Diese Reaktion ist lebensnotwendig, da der Körper so über längere Zeit leistungsfähig bleiben kann. Wirkt der Stress jedoch zu lange ein, kommt es zum Stadium der Erschöpfung, aus dem eine Rückführung in das Stadium der Resistenz nur mittels umfassender therapeutischer Maßnahmen möglich ist.
Stressfaktoren aufspüren mit AK
Mit diesem Dreiphasen-Konzept von Selye lassen sich die drei Reaktionstypen in der Angewandten Kinesiologie erklären: Im normoreaktiven Zustand sind die Muskeln in einer zufriedenstellenden Reaktionslage; der Körper unterscheidet zwischen negativen und positiven Reizen und beantwortet diese über den Muskel. Im hyperreaktiven Zustand besteht eine übergroße Anspannung des Organismus und somit auch der Muskulatur. Mehrere oder alle Testmuskeln erweisen sich als hyperreaktiv, da sich der Patient im Stadium der Resistenz befindet. Der hyporeaktive Zustand entspricht dem Stadium der Erschöpfung, weshalb mehrere oder alle Testmuskeln schwach sind. Mit Hilfe der AK kann der Untersucher also Stressfaktoren ermitteln. Zu diesem Zweck bedient man sich der sogenannten Therapielokalisation (TL). Denn obwohl dieses Phänomen noch nicht vollständig erklärt ist, weiß man, daß es in der AK-Untersuchung funktioniert: Wenn der Patient während des Tests auf Anweisung eine Körperregion berührt und sich dadurch die Muskelstärke ändert, wird dies als positive TL bezeichnet. Die Therapielokalisation zeigt dem Untersucher an, wo eine Störung liegt, nicht jedoch, welcher Art sie ist. Ein exakter Befund erfordert weitere Untersuchungen durch die Angewandte Kinesiologie und der klinischen Medizin.
Die zweite wichtige Diagnosemethode in der AK ist der "Challenge": Wenn ein Patient einem Testreiz ausgesetzt wird und die Muskelstärke sich ändert, spricht man von einem positiven Challenge. So kann man z.B. einen zahnärztlichen Werkstoff im Mund oder eine beliebige Substanz oder Information testen. Wird ein normoreaktiver Muskel dabei schwach oder hyperreaktiv, sollte dieses Testgut als biologisch unverträglich nicht verwendet werden.
Das Ergebnis des Muskeltests ist jedoch für eine ordnungsgemäße Diagnose nicht ausreichend. Und schon Goodheart hat betont, daß die AK-Befunde stets mit klassischen klinischen Untersuchungen belegt werden sollten.